Achtung! Stolperfalle Blaue Hand

11
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Jul
2023
7 min

Warum beauflagte Schulungsmaterialien den Erfolg von Arzneimittel-Launches beeinflussen können.

Der Launch eines neuen Arzneimittels ist ein komplexer Prozess, bei dem es viele wichtige Dinge zu beachten gibt. Eine Sache, die dabei oft übersehen wird, ist die Bedeutung von beauflagten Schulungsmaterialien, auch bekannt als "Blaue Hand Materialien“. Wird das Schulungsmaterial nicht rechtzeitig von der Behörde genehmigt, ist dadurch mitunter der Launchtermin in Gefahr.

Was sind Schulungsmaterialien und warum sind sie so wichtig?

Bei manchen Arzneimitteln ist neben der Packungsbeilage und der Fachinformation laut Risk Management Plan zusätzliches Schulungsmaterial erforderlich, um die Risiken für die Patienten zu minimieren. Dieses Schulungsmaterial (engl. Educational Material) wird von der zuständigen Behörde beauflagt und vom Pharmaunternehmen erstellt. Es umfasst unterschiedliche Arten von Informationsmaterialien (als Druckversion, zum Download, als Video/ Audio-Datei oder sogar als Hotline), um Patienten, Ärzte, Apotheker und weiteres medizinisches Fachpersonal über sicherheitsrelevante Aspekte des neuen Medikaments zu informieren, Maßnahmen zur Risikominimierung zu beschreiben und damit die Patientensicherheit zu gewährleisten. Je nach Zielgruppe können diese Materialien alles von Leitfäden über Schulungsvideos bis hin zu Tagebüchern oder Checklisten umfassen. Zur Gestaltung ist der kreative Sachverstand der Beteiligten und gute Kenntnis der potenziellen Gefahren im Risikomanagement gefordert.

Manchmal beklagen Marketingabteilungen, dass Ärzte die Risiken eines neuen Arzneimittels noch vor den positiven Claims kennenlernen. Hier empfehlen wir eher die Chancen herauszustellen. Sichere Arzneimittel werden gerne wieder verordnet.

Die Blaue Hand – ein Symbol der Genehmigung

Ein beauflagtes Schulungsmaterial muss mit dem Symbol der blauen Hand gekennzeichnet werden. Es ist eine Art Stempel der Genehmigung, der das Material als qualitativ hochwertig, korrekt und vertrauenswürdig ausweist.

Ähnlich wie die Zulassung bei einem geprüften und für den Verkauf freigegebenen Arzneimittel ist die Blaue Hand ein Symbol dafür, dass das Schulungsmaterial den behördlichen Anforderungen entspricht und das Material damit sicher verwendet werden kann, also ein gemeinschaftliches Symbol für Wissen und Genehmigung. Es hat per definitionem keinen verkaufsfördernden Charakter. Dennoch kann gutes Material als positives Differenzierungsmerkmal im Launch gesehen werden.

Und warum ausgerechnet blaue Hände?

Das „Blaue Hand–Logo“ wurde in Anlehnung an das bereits bekannte Logo der „Roten Hand“ gewählt und dient dazu, behördlich genehmigtes Schulungsmaterial auf den ersten Blick von anderem, vom pharmazeutischen Unternehmen herausgegebenen, Informationsmaterial unterscheiden zu können. Ziel ist es, die Adressaten des Schulungsmaterials, also Ärzte und ggf. Apotheker oder Patienten, verlässlich zu erreichen und einen hohen Wiedererkennungswert zu schaffen. Nicht zuletzt wird dadurch auch die Wertigkeit des Materials hervorgehoben.

Warum sind Schulungsmaterialien so schwer zu erstellen?

Die Erstellung von Schulungsmaterialien ist keine leichte Aufgabe. Arzneimittel können komplex sein, sowohl in Bezug auf ihre Wirkungsweise als auch auf ihre Anwendung. Die Erstellung des Schulungsmaterials erfordert daher ein tiefes Verständnis für das Produkt und dessen Anwendung. Dabei müssen die Informationen im Schulungsmaterial präzise und in einer klaren und prägnanten Sprache erstellt werden, damit die jeweilige Zielgruppe sie leicht erfassen kann. Jede Zielgruppe hat spezifische Anforderungen, sodass ein maßgeschneidertes Material entwickelt werden muss. Darüber hinaus müssen Schulungsmaterialien auf dem neuesten Stand sein, regelmäßig überprüft und aktualisiert werden.

Alles in allem erfordert die Erstellung von Schulungsmaterialien eine gründliche Planung, Fachkenntnisse und die Fähigkeit, komplexe Informationen klar und ansprechend zu vermitteln, um sicherzustellen, dass sie ihren Zweck erfüllen. Schließlich muss auch die Frage beantwortet werden, ob der Aufwand die gewünschte Wirkung erzielt. Die Bewertung der Wirksamkeit von Risikominimierungsmaßnahmen, wie dem Schulungsmaterial, wird in den GVP-Guidelines als Schlüsselelement des Risikomanagements beschrieben. Diese Messung der Effectiveness of Risk Minimisation dient dazu, die Wirkung zu beurteilen und die Maßnahme(n) ggf. zu optimieren.

Der Stolperstein Genehmigung

Damit die Genehmigung des Schulungsmaterials nicht zur Stolperfalle wird, müssen für jedes Schulungsmaterial individuelle Anforderungen beachtet werden. Dabei ist z. B. Folgendes zu berücksichtigen:

  • ohne Genehmigung kein Launch, wobei die Einreichungsmodalitäten, Fristen, Gebühren usw. länderabhängig sind
  • Festlegung der Verteilungsarten und Erstellung des Kommunikationsplans
  • ggf. Integration eines QR-Codes in der Packungsbeilage
  • in unterschiedlichen Ländern werden unterschiedliche Anforderungen gestellt, sodass kein einheitliches, europaweites Schulungsmaterial erstellt werden kann
  • die Zeitspannen bis zur Genehmigung können variieren und es sind Verzögerungen einzuplanen
  • der Aufwand für die Messung der Effectiveness of Risk Minimisation hat ein adäquates Level und ist nicht überbordend

Schulungsmaterialien müssen den Vorschriften der Aufsichtsbehörden entsprechen. Dies bedeutet, dass sie spezifische Anforderungen erfüllen müssen, einschließlich der Verwendung bestimmter Begriffe und der Einhaltung von Richtlinien für das Design und den Inhalt. Dazu zählt beispielsweise, dass im Schulungsmaterial

  • keine weiteren Risiken oder Studiendaten beschrieben werden, wenn es nicht behördlich angeordnet wurde
  • keine sprachlichen Wiederholungen aus der Fach- und Gebrauchsinformation enthalten sind
  • ein aktiver Sprachgebrauch verwendet wird
  • keine Angaben mit werbendem Charakter und Angaben zur potenziellen Überlegenheit zu anderen Therapieoptionen gemacht werden
  • die Nennung des Handelsnamens des Arzneimittels auf ein notwendiges Minimum begrenzt ist

All diese Punkte müssen bei der Erstellung berücksichtigt werden, damit die Hürde der Genehmigung leichter überwunden werden kann.

Kein genehmigtes Schulungsmaterial – kein Launch

Eine Ersteinreichung des Schulungsmaterials bei der zuständigen Behörde ist frühestens direkt im Anschluss an ein positives CHMP-Votum zur Zulassung möglich. Der Genehmigungsprozess kann manchmal sehr langwierig und herausfordernd sein. In Deutschland erfolgt die fachliche Erstbeurteilung durch die zuständige Behörde innerhalb einer Frist von 4 Wochen nach Einreichung. Notwendige Korrekturen muss der pharmazeutische Unternehmer (pU) innerhalb von 2 Wochen vornehmen. In Abhängigkeit von der Qualität der Unterlagen und dem damit verbundenen Prüfumfang sind weitere Bewertungsdurchgänge mit jeweils einer Frist von 2 Wochen auf beiden Seiten zu berücksichtigen (siehe Abbildung).

Somit kann sich die Gesamtbearbeitungszeit in die Länge ziehen, vor allem, da die behördlichen Bearbeitungszeiten manchmal nicht strikt eingehalten werden oder ein Wechsel des Assessors stattfindet.

In der Regel sieht der Risk Management Plan vor, dass das Schulungsmaterial vor der Erstabgabe des Arzneimittels genehmigt und verbreitet werden muss. Dies verursacht de facto eine Verzögerung des Launches, bis die Genehmigung für das Schulungsmaterial erteilt wird. Muss der Launch des Arzneimittels deshalb verschoben werden, kann dies zu finanziellen Verlusten und einem Wettbewerbsnachteil führen. Schulungsmaterialien sind daher von entscheidender Bedeutung für den Erfolg von termingerechten Arzneimittellaunches.

Unsere Erfahrungen: the early bird gets the approval in time

Behördlich beauflagtes Schulungsmaterial spielt eine wichtige Rolle bei der Vermarktung neuer Arzneimittel. In unserer Arbeit stellen wir zudem vermehrt fest, dass Schulungsmaterial durch die Behörde beauflagt wird.

Darüberhinaus stellt gelungenes Schulungsmaterial ein strategisches Instrument dar und sollte nach Möglichkeit bereits von Anfang an auf EU-Ebene geplant werden. Auch die Abstimmung mit dem Headquarter ist dabei nicht zu vernachlässigen. Die interdisziplinäre und kreative Erstellung des Materials, sowie dessen Verteilung über die Firmen-Website oder QR-Codes kann bedeutend zum positiven Image eines Pharmaunternehmens beitragen.

Da die Erstellung, Genehmigung, ggf. der Druck und die Verteilung einige Zeit in Anspruch nehmen, ist es von entscheidender Bedeutung, frühzeitig mit dem Schulungsmaterial zu beginnen, um potenzielle Verzögerungen im Markteinführungsprozess zu vermeiden. Ebenfalls sollten mehrere Korrekturrunden durch die zuständige Behörde, sowie Verzögerungen seitens der Behörde eingeplant werden.

Also denken Sie rechtzeitig an die Blaue Hand, damit Ihr Arzneimittellaunch ein großer Erfolg wird!

Wir unterstützen Sie gerne dabei, mit den Tipps und Tricks aus unserer langjährigen Erfahrung!

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